Geros Second Dictionary
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Chapter 7: White Rabbit

With safe steps and a woven basket in her hands she walked along the forest path, past the freshly smelling deciduous trees, the young mushrooms sprouting from the wet humus and the squirrels raging happily in the sunlight and racing around. The forest air filled the long brown haired young lady's lungs, with a single plait on her right side, dressed in white-grey fabric decorated with different colors. As she plunged deeper and deeper into the green forest, the cool gusts of wind danced around her. Her eyes, coloured in deep sky blue, did not deviate from the path. While a grey rabbit was nibbling on something green somewhere in the bushes and the birds were singing their love songs high in the trees, she walked along the path that was known only to two people. Her and him.

They met for the first time in childhood, back then, when she got lost in the forest, couldn't find her way back and the young tears wouldn't stop flowing. Back then when he found her, comforted her and led her back hand in hand. Back then when feelings were simple, when life was a playing field.

Looking down and deeply absorbed in thought, she stopped, closed her eyes and thought back to what was. To the days when she ran up this path with anticipation just to eventually hide behind a tree trunk and how she once asked him what he was holding in his hands all the time. "A book", he replied, but she didn't understand what he meant. Time flew, the two grew bigger, but he never laid down these "books". Often she looked from behind over his shoulder into the leather-bound bodies, which contained strange little signs that stretched page for page, only to then not understand anything at all.

One day, however, as she was lying on the grass admiring the black illustrations in one of these books, he suddenly asked her if she would not want to know what the signs meant. A little confused as to why he had brought that up, she agreed with a slight, silent nod. He then went back into reading after asking his question, and she, even more confused, began looking for more pictures.

The next day, when she and he met again on the green clearing, he seemed to expect the arrival of her this time, which made her a bit embarrassed. "Here", he said, showing her a yellow roll and a little bit of black coal. He placed a few books on the grass and then placed the papyrus roll on it. The two sat down on the grass in front of the roll and he moved a little closer to her. With slight hand movement he drew a familiar sign on the paper. "A", he announced after he had finished drawing the sign and then handed her the piece of coal. Thereupon she traced the "A".

Over the next few days they repeated this procedure, with more and more signs being added. When she knew them all by heart and could pronounce them, he put together some signs. First "Aurha", "Balha", "Darha", "Regha" and then many more. At "Aurha" he pointed to the burnt coal, at "Balha" to the grass, at "Darha" to the water bag that he and she used for refreshment and at "Regha" he pointed his finger up to the sky. The more they practiced, the sooner and faster she wanted to go to the clearing every day.

Sie merkte sich die Kombinationen von Zeichen schnell, was sogar ihn manchmal ins Stocken brachte. Eines Tages jedoch brachte er statt einer Rolle zwei Bücher mit. Er lud sie ein sich unter einem Baum zu setzen und sich an diesen anzulehnen, was sie auch tat. Er überreichte ihr das Buch, wobei sie scheinbar dessen Schwere nicht erwartet hatte und einen leisen, aber merkbarem "Piepser" von sich gab, als er das Buch gänzlich losließ und ihre Hände zusammen mit dem Buch in Richtung Erde fielen. Scheinbar etwas amüsiert, setzte er sich direkt neben sie und schlug das Buch auf. Sie machte ihm nach.

Sie verstand zuerst nicht viel, doch einige zusammengestellte Zeichen ergaben für sie auf einmal Sinn. Kleine Abschnitte, die sie noch gerade so interpretieren konnte, erzählten Geschichten über große, graue, Festungen mit großen Ohren die mit ihren Genossen über das Land zogen, über gestreifte Pferde die im Galopp über seichtes Wasser rannten, über menschenähnliche, aber deutlich kleinere Klettermeister die nach leckeren Früchten suchten und über riesige Fische mit blauem Rücken und weißem Bauch, wie sie Regen erschufen. Die Bildchen, die diese Fabelwesen darstellten, schienen plötzlich so viel interessanter. Bevor sie es merkte, ist sie nach ein paar Tagen am Ende des Buches angelangt. Als er dies merkte, brachte er ein neues Buch mit.

Tage vergingen, Wochen verstrichen, Monate verblassten.

Ein Windstoß erfasste die in der Vergangenheit und Nostalgie schwelgende junge Frau, die daraufhin versuchte ihre im Wind flatternde Haare wieder glatt zu legen. Nachdem ihr dies gelungen ist und der Wind vorbeigezogen ist, wendete sie ihren Blick hoch in die Kronen der Bäume, wo die warme Sonne mit ihren kleinen, dünnen Strahlen hindurchlangte.

Sie lächelte, und setzte sich wieder in Bewegung.

Ihre Schritte waren federleicht und der Wind schien sie von hinten nur weiter zu motivieren. Sie lief und lief, bis sie letztendlich vor der Lichtung stand.

Sie erblickte einen jungen Mann, der in der Mitte der Lichtung saß und mit einem regungslosen Gesicht in ein Buch blickte.

Sie blieb stehen, schnappte zuerst nach Luft, beruhigte ihren Atem und lächelte, sodass die Sonne neidisch werden könnte.

Der frische Wind tat gut und streichelte immer und immer wieder durch ihre Haare, während sie nur dastand und ihn beobachtete. Als ihr auffiel, dass sie sich fast vollständig in ihren Gedanken verlor, klatsche sie sich selber leicht mit beiden Händen an die rosa-roten Wangen.

Als er merkte, dass sich jemand näherte, hob er seinen Kopf und richtete seine Augen auf sie.

Der Korb unter ihrem Arm bewegte sich etwas, als sie ihre Hände etwas verlegen an sich heranzog und ihn ansprach. "I-… Ich habe etwas zum Essen mitgebracht", sagte sie, und blickte weg, ohne selber genau zu wissen warum.

"Ich danke dir", bedankte er sich mit einer leichten Kopfbewegung, und schloss das Buch.

"Ach… das mache ich doch gerne", lächelte sie ihn an.

Die beiden suchten sich ein kühles Plätzchen unter einem Baum und setzten sich auf das frische Gras. Während sie den Inhalt aus dem Korb herausnahm, schaute er ihr zu.

"Hier", überreiche sie ihm ein selbstgemachtes und belegtes Brotstück. Mit einem erneuten "Danke" nahm er dieses in die Hand.


Der sanfte Wind brachte die Seiten zum Blättern, sodass die beiden die Bücher die sie lasen mit beiden Händen festhalten mussten, wobei ihre Haare die Angewohnheit entwickelten in diesem Wind zu flattern, sodass sie oft die Seite an der sie stehengeblieben ist wieder suchen musste.

"Alles in Ordnung?", fragte er sie, als sie leicht genervt ihre Haare wieder beruhigte. "Ja", antwortete sie, fragte sich dann innerlich warum sie ihre Haare doch nur so lang werden ließ, erinnerte sich dann daran, wie er ihr mal gesagt hat, dass das lange Haar gut an ihr aussieht und vertiefte sich dann wieder schnell im Buch, um diese Gedanken aus dem Kopf zu kriegen.

Doch dies hielt nicht allzu-lange an. Immer wieder gleitete ihr Blick vom Buch zu der Person neben ihr, die voller Konzentration in ihr Buch blickte. Immer wieder zwang sie sich in das Buch zu schauen, nur um dann ein weiteres Mal gegen ihr Unbewusstes zu verlieren.

Unbemerkt lullte der kühle Wind sie ein. Das Buch verlor langsam den Halt in ihren Händen und ihre Augenlider fielen zu. Ihr Kopf neigte sich etwas zur Seite, sodass ihr ganzer Körper nach rechts rutschte, dort, wo er gerade seelenruhig sein Buch las.

Als er ein Gewicht an seiner Schulter bemerkte und herausfand, dass sie nun an dieser ruhig-atmend schlief, beobachtete er dieses Szenario zuerst. Mit der Rückseite seiner rechten Hand streichelte er über ihr Haar und sein Gesicht bildete ein sanftes, beruhigendes Lächeln.


Kapitel 8: Haubitzen in meinem Kopf

Kether stand mit hinter seinem Rücken verschränkten Händen vor einem alten Ölgemälde. Mit seinen scharfen Augen untersuchte er dieses, jedes einzelne Detail, das der Maler eingefügt hat. Das Bild, an der Wand hängend und etwas verstaubt, faszinierte Kether förmlich. In vollkommener Starre stand er da, vor diesem Bild, sagte kein Wort und bewegte sich kein bisschen. Die Thematik des Bildes, der Konflikt, verschlang ihn.

"Mir war gar nicht bewusst, dass die Krone eine Schwäche für Kunst besitzt", ertönte plötzlich von der Seite eine Stimme.
Kether wandte seinen Blick leicht gen Stimme, "Ein Bild erzählt mehr als tausend Worte, mein Lieber"
"Wie wahr, wie wahr", sagte dieser leise, während er an Kether mit kleinen Schritten herantrat. Kether dagegen, scheinbar momentan wenig an der Person interessiert, blickte wieder auf das Bild.
Die Person, die nun direkt neben Kether stand, schaute auch auf das Bild, konnte sich allerdings in diesem nicht vertiefen.
"Aber weißt du, Weisheit, ein Ton sagt mehr als zweitausend Worte", sagte Kether auf einmal.
"Wie das?"
"Nun… schaue dir doch das Bild an."
Chockmah tat genau dies.
"Was siehst du?"
"… ich sehe Krieg und Soldaten. Ich sehe Gewehre und Pferde… Ich sehe den Tod", antwortete Chockmah nach einem kurzen Überlegen.
"Mhmm", stimmte Kether mit einem Nicken zu, "das ist gut, Weisheit. Was noch?"
"Ich sehe Väter wie sie für ihr Land kämpfen, wie die Mütter um ihre gefallene Söhne trauern."
"Weiter, mache weiter…"
Chockmah stockte etwas, "Wie… wie die Kavallerie durch die Soldaten durchreitet und sie von oben niedermetzelt. Wie die einen um ihr Leben beten und die anderen bereits all Verstand verloren haben."

Eine kurze Stille entstand.

"Das war wirklich sehr gut, Chockmah, eine gute Interpretation", sagte Kether dann endlich nach der Stille. "Doch ich… ich sehe das Bild nicht, so wie du es tust, sondern ich höre es." Kether sprach langsam und noch laut genug damit es Chockmah verstehen könnte.

Kether schloss seine Augen und hob seine Hände etwas an. "Um das Bild zu verstehen muss man der Dirigent sein, der das Orchester leitet."
Kether hob seine Hände immer weiter an, bis er dann anfing diese mit sanften Bewegungen durch die Luft zu schwingen. Der unsichtbare Dirigentenstab veranlasste die Instrumente zum Ertönen, währenddessen stand Chockmah daneben und schaute Kether bei seinem Dirigieren zu.

"Die Geschichte die ich höre, ist die des Krieges", fing Kether an zu sprechen. "Die einen haben sich verschanzt und verbarrikadiert, die anderen hingegen fuhren die eisernen Kanonen an die Front."
"Ich höre wie der General das Bombardement befiehlt, wie die Haubitzen mit schwerem Atmen anfangen zu schnaufen und zu kreischen. Ich höre die hohen Töne der Geschosse, die aus dem hohen Himmel auf die Erde niederregnen. Ich höre hunderte, tausende Schreie. Ich höre wie die Geschosse die Gräben zerstören, wie die Explosionen aus Erde die Hügel zu einem schwarzen Friedhof voller Blut und Geschrei verwandeln. Ich höre wie der Staub der die Luft grau färbt sich in den Lungen der Soldaten absetzt. Ich höre wie die Schreie plötzlich aufhören, wie diejenigen die noch leben in den ruinierten Gräben kauern und hoffen, dass kein Geschoss auf ihre Position fliegt. Ich höre wie diejenigen die noch vor einem oder zwei Monaten Rekruten waren bereits den Tod akzeptieren und seelenruhig dasitzen. Ich höre den Hügel, wie er unter dem dauerhaften Beschuss wackelt und vibriert", Kether atmete schwer.
"Ich höre… wie der junge Soldat in der Kirche neben dem Hügel niederkniet und wie er betet, und wie die Scheiben zerschmettert werden, wie die Wand einbricht, wie er unter der steinernen Decke begraben wird. Wie der grüne Hügel, an dem doch noch vor kurzem Kühe das Gras kauten, langsam, aber sicher zur pechschwarzer Hölle auf der Erde wurde."

Die Violinen tanzten, die Trompeten dröhnten und die Flöten schwirrten. Das Orchester war ein einziges Lebewesen, es atmete und bewegte sich, es lebte und es verschlang jedes Geräusch das sich in den Weg stellte.

Außer Atem senkte Kether wieder seine Hände und öffnete seine Augen. Chockmah, der wortlos daneben stand, schaute durch seine weiße Maske wieder auf das Bild.

"Die Flammen über Sonderburg…", sagte er schließlich, als er die Schrift unter dem Bild erkannte.
Kether beruhigte wieder seinen Atem, "So ist es."
"Der erste Weltkrieg?", fragte Chockmah.
"Nein", Kether trat dem Bild näher und ließ seine Hand über dieses leicht streichen, "wenn das hier die Hölle war, dann war der erste Weltkrieg ein Exodus in den Limbus."
"Sie sprechen so… als ob Sie… Nein, das ist unmöglich", stoppte sich Chockmah selber vom Sprechen.
Kether drehte sich um, "Kümmere dich um unser momentanes Anliegen, mein Zweig. Schon bald wird der rote Regen kommen."
Chockmah verneigte sich langsam und elegant vor Kether. Seine weiße Maske rutschte dabei in den Schatten seiner selbst. "Jawohl."

Chockmah hob wieder seinen Kopf und verschwand aus dem halb eingestürztem Raum. Die Sonne, die noch vor kurzem die Staubpartikel durch die großen Löcher in der Decke erleuchtete, verschwand nun.

"Schon bald wird es zu Ende sein", verkündigte Kether sich selber.
Mit einem Wackeln gaben seine Beine nach. Kether stützte sich mit den Händen am Boden ab, während die schweren Kanonen in seinem Kopf eine zweite Salve abfeuerten.


Er stand auf und erinnerte sich. Verdreckt und mit leeren Augen stand er da, während die Welt um ihn herum nicht mehr erkennbar wurde. Der Himmel wurde grau und die Staubwolken stiegen in die Lüfte. Ein schwerer Trommelwirbel sang den letzten Chorus, während die Männer panisch um ihr Leben beteten, die allerdings ihre Sätze nicht vollendet konnten, als die Erde sie begrub. Es war so fremd.

Es gab keine Schreie, nur das Orchester schlug mit seinen hellen Trompeten und tiefen Trommeln um sich.

Der Tag bekam neue Sterne. Hoch im Himmel leuchteten sie und fielen dann nieder, auf die hilflosen Menschen im Dreck und Matsch. Ihre Hände zuckten und ihre Köpfe, nun leer von jederart Verstand, waren dem Boden nah. Aufgegeben und akzeptiert haben sie ihr Schicksal, verstanden jedoch nicht, warum Gott ihnen dieses auferlegt hatte. Sie weinten. Jegliche menschliche Merkmale verschwanden von den Körpern derjenigen, die nicht genug Zeit hatten sich einzugraben. Ihre Familien hatten sie vergessen und das einzige woran sie sich noch erinnern konnten, war ihr mickriger Wunsch am Leben zu bleiben, der nicht selten von den schweren Stößen zerschlagen wurde.

Es war ihm egal. Als einziger war seine Haltung aufrecht, wie dank einem Wunder stand er da, in voller Höhe und in der Mitte dieser von Menschenhand geschaffener Hölle. Er erinnerte sich an das, was er vor langer Zeit vergessen hatte. Er sah in den Himmel und erkannte die funkelnden Sterne, wie sie auf ihn rasten und vor nichts Halt machten. Es war sinnlos. Alles was er bisher getan hat, was er erlebt und erfahren hat, war sinnlos. Jede Art von Emotion entwich seinem Körper, so, als ob er sie erst gar nie hatte, obwohl dies nicht erlogen wäre, spreche man es aus. Sein Glauben an Gott verloren, seine Gefühle in dem schwarzen Dreck vergraben.

Er fing an zu laufen. In Richtung der Trommel lief er, langsam und Schritt für Schritt, während die pfeifenden Sterne neben ihm in die Erde knallten. Er erinnerte sich daran, was er vor langer langer Zeit getan hat und warum er nun hier ist. Er erinnerte sich daran, warum er sich nun wieder an diese Sachen erinnerte, warum all dies gerade passierte. Sein Gesicht verlor jede Regung und Spannung, während seine Arme frei an seinem Körper hingen. Er erinnerte sich an seinen echten Namen, an sein echtes "Leben". Seine Augen bekamen einen orangen Schein.

Der Trommelwirbel tobte immer weiter. Mit jedem Schlag wurde die Erde unter ihm erschüttert und mit jedem Pfeifen wurde die Luft gespalten. Das systematische und rhythmische Spielen dieser aus Eisen gegossenen Trommel machte es schwer zu atmen.

Doch es war sowieso egal.

Er hatte weder Bedenken, Bedauern oder Befangenheit. Er wird sich wieder erinnern. Der einzige Gedanke, der ihm gerade noch schnell genug durch den Kopf lief war der, dass es dieses Mal unglücklich verlaufen ist.

Das Pfeifen wurde lauter, worauf er in den Himmel blickte. Mit seinen Augen erspähte er einen weißen Stern, wie er hoch über ihn stand.

Mit geöffneten Armen stand er da, alleine, auf diesem vor kurzem noch grünem Hügel und empfing diesen hellen Stern, während dieser seinen Körper auseinanderriss.

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